dpa, 10.08.2001 

Bush will Stammzellen-Forschung begrenzt fördern


Washington (dpa) - US-Präsident George W. Bush will die Forschung an menschlichen Stammzellen nur in begrenztem Umfang staatlich unterstützen und genau kontrollieren. Das teilte Bush am Donnerstagabend in einer Fernsehrede aus einem Ranchhaus in seinem Heimatstaat Texas mit. Dieser Kompromiss, ein Rückschlag für die Anhänger umfassender wissenschaftliche Forschungen, war allgemein erwartet worden. Die Forschung an neuen Stammzellen soll nicht gefördert werden, jedoch Experimente mit bereits bestehenden Linien. «Ich habe entschieden, dass wir mit großer Sorgfalt vorgehen müssen«, sagte der Präsident. Er kündigte ein wissenschaftliches Beratergremium an, das die Entwicklung verfolgen soll.

Die Entscheidung gilt nach Auffassung enger Berater und prominenter Parteifreunde als eine der politisch schwerwiegendsten des Republikaners, der während des Wahlkampfs im Jahr 2000 eine Finanzierung noch klar abgelehnt hatte.

Bush sagte, die Stammzellenforschung befinde sich auf «ethischen Minenfeldern«. Auf der einen Seite seien mit ihr große Hoffnungen verbunden, auf der anderen liege sie an der Grenze großer menschlicher Gefahren. Der nächste Schritt könne das Klonen von Menschen sein. Er lehne das strikt ab. «Selbst das nobelste Ziel rechtfertigt nicht jedes Mittel«, sagte der Präsident. Er habe daher entschieden, nur die Forschung mit den bereits vorhandenen Stammzellenlinien zu fördern, wo die «Entscheidung über Leben und Tod bereits gefallen ist«.

Konservative Kreise in den USA, vor allem aber die katholische Kirche und andere religiöse Gruppen, lehnen eine jede Stammzellen- Forschung ab, da die Zellen unter anderem von abgetriebenen Embryos gezüchtet werden. Bei einem Bush-Besuch in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo während seiner Italienreise im Juli hatte Papst Johannes Paul II seinen Gast dazu aufgerufen, die embryonale Stammzellenforschung nicht zu unterstützen. Eine «freie und tugendhafte Gesellschaft» wie die amerikanische müsse «Praktiken ablehnen, die menschliches Leben in jeder Stufe von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod entwerten und verletzen».

Zahlreiche Wissenschaftler und nicht zuletzt die ehemalige First Lady Nancy Reagan hatten sich aber in jüngster Zeit für die Forschung ausgesprochen. Ex-Präsident Ronald Reagan ist seit Jahren an Alzheimer erkrankt. Wissenschaftler erhoffen sich Linderung oder sogar Heilung verschiedener Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer, Diabetes und Krebs sowie Rückgratverletzungen von neuen Stammzellen- Therapien. Auch der Mehrheitsführer der Demokratischen Partei im Senat, Tom Daschle, hatte eine staatliche Unterstützung gefordert, um Millionen von kranken Amerikanern Hoffnung zu geben. In Meinungsumfragen vor der Bekanntgabe der Entscheidung hatten 55 Prozent der Amerikaner eine staatliche Förderung befürwortet. In einer CNN-Blitzumfrage kurz vor Bushs Rede waren 67 Prozent dafür.

Bisher forschen in den USA nur einige private Firmen mit Stammzellen. Dabei wird es nach Auffassung des Chemie- Nobelpreisträgers Paul Berg aus Palo Alto (Bundesstaat Kalifornien) auch bleiben. Er nannte die Entscheidung Bushs «ein Desaster». Berg sagte der dpa, dass damit die Rechte für die vielversprechendsten Projekte in den USA «in Privathand» lägen. Gemeint ist das biotechnologische Unternehmen Geron Inc. in Menlo Park (Bundesstaat Kalifornien), das die Rechte zur Entwicklung von Stammzellentherapien gegen acht besonders schwere Krankheiten von dem Forschungsinstitut WiCell in Madison (Bundesstaat Wisconsin) gekauft hat.

WiCell ist der einzige Produzent menschlicher Stammzellen in den USA. Nach Auskunft von Berg gibt es weltweit nur noch ein einziges anderes Unternehmen, ein Institut in Australien, das menschliche Stammzellen ohne Auflagen und Beschränkungen liefert und damit öffentliche Forschungsprojekte mit staatlichen Mitteln für die Nutzung von Stammzellen gegen die schlimmsten Leiden ermöglicht.

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dpa, 10.08.2001 

Vielversprechende Untersuchungen

Stammzellen sollen viele der schlimmsten Leiden heilen oder lindern

New York (dpa) - Wie ein medizinisches Wörterbuch liest sich die Liste der Krankheiten, bei denen Stammzellen einmal helfen sollen.

Die Amerikanische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft (AAAS) zählt bereits mehr als 5000 Versuche mit Stammzellen, die meisten mit vielversprechendem Ergebnis, aber bisher auch meist in privaten Labors.

Das könnte sich jetzt ändern. US-Präsident George W. Bush gab in der Nacht zum Freitag seine Entscheidung bekannt, künftig öffentliche Gelder für die Stammzellenforschung freizumachen.

Allerdings nur begrenzt und mit der strikten Auflage, keine weiteren Embryonen mehr für Stammzellen zu zerstören. Vielmehr sollen Forscher für die neuen Studien nur noch jene Stammzell-Linien verwenden, die seit 1998 entwickelt wurden und sich seitdem beständig weiter vermehren.

Experten glauben, mit Stammzellen aus Embryonen oder von Erwachsenen in einigen Jahren oder Jahrzehnten einmal die Mehrheit aller Leiden lindern oder sogar heilen zu können: Infarkte und Herzversagen, verschiedene Krebsarten, wie etwa Leukämie, Brust- und Eierstockkrebs. Aber auch Knochen- und Gelenkverschleiß, Diabetes und Schlaganfälle sowie Autoimmunkrankheiten wie Multiple Sklerose stehen auf der Liste.

Kanadische Mediziner behandeln genetisch bedingte Geburtsfehler bereits bei einigen Kindern mit Stammzellen, wie Teamleiter John Dick vom "Hospital for Sick Children" in Toronto im Dezember in "Nature Immunology" berichtete.

Viele Erfolge werden aus Tierversuchen berichtet. Kiminobu Sugaya von der Universität von Illinois in Chicago injizierte alten Ratten Stammzellen ins Hirn und beobachtete, wie sich ihr Gedächtnis langsam regenerierte. Am Ende fanden sich die betagten Nager wieder genauso gut in einem Test-Labyrinth zurecht wie Jungtiere ("NeuroReport", Mai 2001).

Harvard-Forscher (Boston) verhalfen erblindeten Ratten wieder zum Augenlicht mit Stammzellen, die sie in die Netzhaut spritzten. Und Helen Blau von der Stanford Universität in Palo Alto (Kalifornien) reparierte Hirnschäden bei Mäusen mit Stammzellen ("Science", Dezember 2000).

Der durch einen Reitunfall querschnittsgelähmte Filmstar Christopher Reeve ("Superman") hofft, bald wieder gehen zu können. An der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore gelang es Forschern, bewegungsunfähige Mäuse durch Injektion von Stammzellen in die Wirbelsäule wieder auf die Beine zu bringen.

Die Stammzellen bildeten neue Verbindungen zwischen durchtrennten Nervensträngen. Jedes zweite Tier konnte nach der Therapie wieder ungehindert laufen. Die anderen zogen ihre Beine schleppend nach, berichteten die Hopkins-Neurologen im November auf einer Tagung in New Orleans.

Einige ältere Studien wurden noch mit Stammzellen aus dem Rückenmark von Erwachsenen durchgeführt. Inzwischen steht fest, dass Stammzellen von wenige Tage alten Embryonen noch viel mehr Potenzial haben.

Sie können ein weitaus größeres Spektrum von Geweben reparieren und ersetzen als die adulten Stammzellen. Zu diesem Schluss kommt ein umfassender Bericht der US-Staatlichen Gesundheitsforschungsinstitute (NIH) in Bethesda (Maryland) vom Juli.

Die Krux der Bush-Entscheidung ist aber, dass die USA nur Projekte mit bereits existierenden Linien von Stammzellen fördern wollen. "Erstens halten diese Zell-Linien nicht ewig, und zweitens sind viele von ihnen durch Patente und Lizenzen geschützt und für Forscher an Universitäten nicht verfügbar", sagte der Bioethiker Arthur Caplan von der Universität von Pennsylvania dem Sender CNN.

Alle Stammzell-Linien in den USA stammen nach Auskunft des Biologie-Professors an der Stanford-Universität und Nobelpreisträgers Paul Berg vom WiCell-Institut in Madison (Wisconsin). Doch WiCell hat die Rechte für Stammzell-Studien zur Bekämpfung der acht am weitesten verbreiteten Krankheiten wie Diabetes, Alzheimer und Parkinson längst an die Biotech-Firma Geron in Menlo Park (Kalifornien) verkauft.

Das heißt, dass alle anderen Forscher nicht nach einer Therapie oder Heilung für diese Krankheiten suchen dürfen, solange sie die einzigen in den USA verfügbaren embryonalen Stammzellen von WiCell benutzen. Selbst mit Geld aus Washington nicht.


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