DDB Deutscher Diabetiker Bund, 15.02.2006

Methodische Anforderungen an die Entscheidungsgrundlagen für den Ausschluss von Leistungen aus dem GKV-Leistungskatalog müssen erhöht werden

Pressekonferenz des Deutschen Diabetiker Bundes (DDB)
„Diabetiker wehren sich!“, Berlin, 15. Februar 2006

Berlin, 15.02.2006. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat im Vergleich zu entsprechenden Institutionen in anderen Ländern einen entscheidenden Geburtsfehler: die Bewertung von Arzneimitteln erfolgt lediglich auf der Basis ihres medizinischen Nutzens, nicht auf der Basis des Verhältnisses von Zusatzkosten und Zusatznutzen aus gesellschaftlicher Perspektive. Ein vereinfachender Vergleich der Apothekenabgabepreise von Arzneimitteln, wie für die Insulinanaloga geplant, ist aus gesundheitsökonomischer Sicht strikt abzulehnen und entspricht nicht internationalen Standards.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wurde mit dem GKV-Modernisierungsgesetz im Jahr 2004 nach dem Vorbild von Institutionen in Großbritannien, Frankreich, Kanada und den USA geschaffen, die sämtlich die Beurteilung von medizinischen Technologien für die Kostenerstattung, den Einschluss in medizinische Leitlinien oder die Preisfestsetzung in den Gesundheitssystemen dieser Länder zur Aufgabe haben. Die SPD-Regierung hatte eine staatliche Institution mit der Aufgabe vorgesehen, medizinische Leistungen hinsichtlich des Verhältnisses von Kosten und Nutzen zu beurteilen. Aufgrund der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat musste aber eine überparteiliche Kompromisslösung gefunden werden. Aus dem politischen Gerangel ging das IQWiG schließlich als Organ der Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen mit dem begrenzten Auftrag hervor, insbesondere bei Arzneimitteln nur den medizinischen Nutzen zu beurteilen. Es kann deshalb nicht mehr denselben Aufgaben gerecht werden wie seine internationalen Vorbilder. Insbesondere Entscheidungen über eine allokativ effiziente Umverteilung der Ressourcen von weniger kosten-effektiven Leistungen hin zu kosteneffektiveren Leistungen können nicht auf der Basis der IQWiG-Berichte erfolgen. Dies wäre jedoch wünschenswert, da es die Versorgungsqualität im Sinne einer Steigerung der Gesundheit und der Lebensqualität der Versicherten verbessern würde.

Der Vorbericht des IQWiG zur Nutzenbewertung der kurzwirksamen Insulinanaloga ist nach den internationalen Standards für einen systematischen Review der medizinischen Literatur erstellt worden und hat das Hauptergebnis eines Cochrane-Reviews aus dem Jahr 2004 bestätigt: die kurzwirksamen Insulinanaloga sind in ihrer Wirksamkeit hinsichtlich patientenrelevanter Ergebnisparameter und ihres Nebenwirkungsprofils Humaninsulin weder über- noch unterlegen. Bemerkenswert ist, dass die fünf randomisierten klinischen Studien, die für die Fragestellung als relevant identifiziert wurden, sämtlich schwerwiegende qualitative Mängel aufweisen, worauf das Institut ausdrücklich hinweist. Dabei ist vor allem auf eine fehlende Verblindung der Ärzte und Patienten hinzuweisen, was bekanntermaßen zu starken Verzerrungen der Studienergebnisse führen kann. Auch fanden sich diskrepante Aussagen zu den Ergebnissen innerhalb der Veröffentlichungen oder zwischen den veröffentlichten Arbeiten und den Dokumenten, die den Zulassungsbehörden übermittelt wurden. Generell waren die Studien von zu kurzer Dauer, um Langzeiteffekte auf Sterblichkeit und vaskuläre Komplikationen zu messen. Eine Untersuchung der Wirksamkeit der Insulinanaloga hinsichtlich der Lebensqualität erfolgte nur in zwei der fünf Studien und dort nur bei einem Teil der Patienten. Dies lässt eine Verzerrung der Ergebnisse durch Selektionseffekte befürchten. Aber gerade in der Verbesserung der Lebensqualität scheint aus Sicht der Betroffenen und der behandelnden Ärzte der entscheidende Vorteil der Insulinanaloga im Vergleich zum Humaninsulin zu bestehen.

Auf der Basis dieser mangelhaften Informationen ist eine ethisch vertretbare und wissenschaftlich fundierte Entscheidung über den Ausschluss der Insulinanaloga aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen nicht möglich. Eine Konsequenz aus dieser Studie sollte sein, die allgemeinen Anforderungen für Zulassungsstudien von neuen Arzneimitteln deutlich zu erhöhen. Zudem müssten die Aufgaben des IQWiG - analog zu seinen internationalen Vorbildern - auf eine Bewertung des Verhältnisses von Kosten zu Nutzen der medizinischen Leistungen unter Berücksichtigung sozialer und ethischer Gesichtspunkte, ausgeweitet werden. Ohne diese erweiterte Kompetenz ist zu befürchten, dass der Gemeinsame Bundesausschuss subjektive und vereinfachende Einschätzungen über die Kosten der Leistungen (z.B. nur den Preis eines Medikamentes statt die Gesamtkosten aus gesellschaftlicher Sicht) bei der Entscheidungsfindung mit heranzieht und diese deshalb nicht im Sinne der Betroffenen oder der Gesellschaft sind. Der Pressemitteilung des IQWiG vom 14.2.2006 zufolge ist aber genau dies der Fall: Die Entscheidung soll auf der Basis des höheren Apothekenabgabepreises der Insulinanaloga im Vergleich zum Humaninsulin – bei vergleichbarem medizinischen Nutzen - erfolgen. Dies widerspricht jeglichem gesundheitsökonomischen Grundverständnis und ist aus wissenschaftlicher Sicht strikt abzulehnen. Die Evaluation des Kosten-Nutzen-Verhältnisses von medizinischen Leistungen ist komplex. Die Kosten und Konsequenzen einer Leistung sind vielfältig und beinhalten z.B. den Produktivitätsausfall durch Arbeitsunfähigkeit, Folgekosten durch häufigere stationäre Einweisungen oder Kosten, die Familienangehörigen oder Rentenversicherungsträgern entstehen. Alleine die mögliche Verbesserung der Lebensqualität der Patienten könnte den Mehraufwand für die Insulinanaloga wert sein – aber die vorliegenden Informationen sind unzureichend, um dies zu beurteilen.

Eine Entscheidung über den Leistungssausschluss auf der Basis des Apothekenabgabepreises eines Arzneimittels entspricht nicht internationalen Standards. An die ökonomische Komponente der Entscheidungsfindung muss eine ebenso hohe Messlatte wie an die Bewertung des medizinischen Nutzens gelegt werden.

Verantwortlich: Dr. med. Christian Gericke, MPH, MSc (Econ), Lehrstuhl für Management im Gesundheitswesen, WHO Collaborating Centre for Health Systems Research and Management, Technische Universität Berlin. E-Mail: christian.gericke@tu-berlin.de



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