Hannoversche Allgemeine Zeitung, 08.11.2001 

Arzneimittel

Notoperation

VON GABI STIEF

Mit einem Spardiktat gewinnt man keine Freunde. Wer aufs Diktat verzichtet, macht aus Feinden Freunde. Ein Irrglaube? Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat daran geglaubt. Kaum im Amt, gab es Entwarnung bei Pillen, Säften und Tinkturen. Eine Obergrenze fürs ärztliche Verordnen? Ein falscher Weg, meinte zumindest die Ministerin und schritt zur Tat. Das umstrittene Arzneimittelbudget wurde abgeschafft. Aber der Dank der Mediziner war nur von kurzer Dauer. Freunde hat die Ministerin nur noch wenige - selbst unter Sozialdemokraten.

Nicht ohne Grund. „Eine Kostenlawine ungeahnten Ausmaßes", konstatierten vor kurzem die Herausgeber des jährlichen Arzneimittelreports. In diesem Jahr sei mit einem Rekordanstieg der Ausgaben für Medikamente von vier Milliarden Mark (neun Prozent) zu rechnen. Erstmals, so klagten gestern die Krankenkassen, werde in diesem Jahr voraussichtlich mehr Geld für Medikamente als für die ärztliche Behandlung ausgegeben. Blamables Resümee für die Ministerin: Es war falsch, das Budget aufzukündigen, ohne wirksame Alternativen einzusetzen.

Drohen und feilschen ...

Eine Alternative hat Ulla Schmidt nun nachgereicht. Vor zwei Wochen wurde angesichts steigender Krankenkassenbeiträge ein hastig geschnürtes Arznei-mittel-Sparpaket in den Bundestag eingebracht, das bei Apothekern und Phar-maunternehmen Notopfer einfordert. Seitdem hagelt es Kritik. Der Wirtschaftsminister mosert, IG BCE-Chef Hubertus Schmoldt dringt auf Korrekturen, die Pharmaindustrie droht mit Abbau von Arbeitsplätzen. Der Widerstand zeigt Wirkung: Ein Krisengespräch beim Kanzler ist geplant.

Hartleibig und durchsetzungskräftig war die Pharma-Lobby schon immer, wenn es ums Geld geht. 480 Millionen Mark Einsparung verspricht sich Schmidt von dem geplanten Preisabschlag von vier Prozent bei jenen Medikamenten, die nicht der Festpreisregelung unterliegen. Glaubt man den Krankenkassen, so sind diese teuren, patentgeschützten Originalpräparate Haupt-verursacher der Kostenexplosion. Preiserhöhungen um bis zu 50 Prozent bei einzelnen Medikamenten seien üblich. Grund genug für ein Notopfer zu Gunsten der Solidarkasse? Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller bietet einen Tauschhandel an: 300 Millionen Mark an Stelle des Preisabschlags.

Der Bundesverband der Pharmaindustrie streitet derweil um die neue Verordnungspraxis. Nach den Plänen des Ministeriums soll der Arzt künftig nur noch Wirkstoffe verschreiben; das preiswerte Medikament sucht dann der Apotheker aus. Als Mitstreiter hat die Ministerin nur noch die Apotheker an ihrer Seite. Die Krankenkassen bezweifeln den Einspareffekt, die Ärzte fürchten um ihre Therapiefreiheit, die Pharmaindustrie bangt um Umsätze.

Der erbitterte Kampf um Besitzstände auf dem Gesundheitsmarkt hat schon so manchen Vorgänger von Ulla Schmidt resignieren lassen. Über den „Spitzentanz im Haifischbecken" klagte einst Norbert Blüm. Und nichts hat sich geändert. Verschwendung, aggressive und trickreiche Preispolitik zu Lasten der Versicherten sind nach wie vor gang und gäbe.

... kämpfen und klagen

Mutlos wird seit mehr als einem Jahrzehnt die Einführung einer Positivliste für Medikamente hinausgezögert. Nimmt die Politik sich ein Herz und wagt Korrekturen, so sind Klagen so gut wie sicher. Der Rechtsstreit über Festpreise für Medikamente, die 1989 (mit deutlichem Sparerfolg) eingeführt wurden, füllt mittlerweile Hunderte von Schriftsätzen. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverfassungs-gerichts stehen noch aus.

Auch dort, wo der Markt und nicht die Politik für Veränderungen sorgt, wird verbissen gekämpft. Der Internet-Handel mit Medikamenten, der nach einer Studie jährliche Einsparungen von bis zu einer Milliarde Mark erzielen könnte, ist in Deutschland noch verboten. Ein niederländischer Händler, der mit Blick auf den europäischen Binnenmarkt das Verbot ignorierte, bekam es mit der Streitmacht der Apotheker samt Anwälten zu tun. Der Europäische Gerichtshof muss nun entscheiden. Der deutsche Apothekerverband präsentiert sich mittlerweile selbst mit einer Internetseite - nur Konkurrenz soll es nicht geben. Und die Ministerin? Sie gibt ein Gutachten in Auftrag.

Um gut acht Milliarden Mark könnten die Ausgaben für Medikamente nach Ansicht der Autoren des Arzneimittelreports gesenkt werden - ohne Nachteile für den Patienten. Ulla Schmidt möchte etwa zwei Milliarden Mark einsparen. Eine sichere Buchung zu Gunsten der Versicherten? Noch nicht.


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