dpa / news aktuell - ots, 10.11.2003 

Dicke Kinder: Sind die "Schrumpf-Familien" schuld?

Bedeutung der Ernährung wird oft überschätzt

Bonn (ots) - Kevin allein zu Haus. Für viele Kinder, deren Mütter und Väter berufstätig sind, ist diese Situation zunehmend normal. Gemeinsame Mahlzeiten im Familienkreis bilden eher die Ausnahme und der Lerneffekt durch die Bereitstellung einer ausgewogenen Ernährung bleibt auf der Strecke. "Aus soziologischer Sicht könnte hierin, neben einer ganzen Reihe weiterer Faktoren und Auslöser, ein Grund liegen, weshalb die Anzahl übergewichtiger Kinder kontinuierlich zunimmt", vermutet Prof. Kutsch von der Universität Bonn in einem kürzlich veranstalteten Forum zum Thema "Ernährung, Süßwaren und Lebensstil". Erste Untersuchungen zeigen, dass die zunehmende Auflösung der Mahlzeitenstrukturen oftmals zu einer erhöhten Energiezufuhr der Kinder führt. Essen wird zur Nebenbeschäftigung und geschieht eher unbewusst und "nebenbei". Aber auch andere Faktoren wie der Bildungsstand, die genetische Veranlagung und insbesondere das Bewegungsverhalten spielen bei der Entstehung von Übergewicht eine große Rolle. Ein häufig zu hörendes Vorurteil räumten die Wissenschaftler in Bonn allerdings zur Seite: Süßwaren und Snacks sind es nicht, die ursächlich verantwortlich für die Entwicklung von "dicken Kindern" gemacht werden können, so die übereinstimmende Aussage der teilnehmenden neun Experten.

Für Prof. Stehle vom Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Bonn ist ein Ausgleich der Energiebilanz wichtig: "Nach neueren Studien hat sich in den letzten Jahren nicht die Kalorienaufnahme, sondern der Kalorienverbrauch ungünstig verändert.

Eine Stunde weniger Fernsehen oder Computerspiele, stattdessen sportliche Aktivität, tragen daher effektiv zur Gewichtskontrolle bei", so Stehle. Wie auch sein Kollege Prof. Vögele von der University of Surrey, Roehampton in England, hält er den Bewegungsmangel für ein ganz wesentliches Manko, das bereits bei Kindern zum Aufbau erster Fettpolster führt. Woher die zuviel aufgenommenen Kalorien stammen, ist dabei völlig gleichgültig. Denn: "Es gibt weder gesunde noch ungesunde Lebensmittel, wohl aber richtige oder fehlerhafte Lebens- und Essgewohnheiten", erklärt Stehle. Auch der häufig unzureichende familiäre Rückhalt vieler "Schlüsselkinder" kann dazu beitragen, dass aufgrund fehlender Vorbilder und Anleitung zuviel Bequemlichkeit zur Leibesfülle führt.

Zwischen dem Verzehr von Süßigkeiten und Knabberartikeln und der Entstehung von Übergewicht besteht kein kausaler Zusammenhang, so die einhellige Feststellung der Experten in Bonn. Eine Studie der Universität Kiel hat sogar gezeigt, dass übergewichtige Kinder seltener naschen als ihre normalgewichtigen Altersgenossen. "Süßigkeiten und salzige Snacks dürfen durchaus - in Maßen - in die Ernährung integriert werden", so Dr. Ellrott von der Ernährungsphysiologischen Forschungsstelle der Universität Göttingen. Er warnt ausdrücklich vor einer "Dämonisierung" des Naschens oder einzelner Lebensmittel ebenso wie vor starren Diätvorgaben, die ohnehin nur schwer durchzuhalten sind und häufig zu Essanfällen führen.

Übergewicht lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht nicht nur auf einige wenige Faktoren zurückführen, sondern stellt vielmehr ein komplexes Problem dar, das vielschichtiger Betrachtung und ebenso vielschichtiger Behandlung bedarf. Neben soziologischen und sportwissenschaftlichen müssen also auch psychologische und physiologische Aspekte in die Betrachtung einbezogen werden.
Natürlich können auch genetische Vorgaben eine Veranlagung zum Übergewicht programmieren. Um so wichtiger ist es, mit ganzheitlichen Lösungsansätzen den Pfunden zu Leibe zu rücken. "Keinesfalls kann und darf die Problematik allein auf die Ernährung oder gar auf einzelne Lebensmittelgruppen reduziert werden", fasst Prof. Stehle die wesentlichen Ergebnisse des Bonner Forums zusammen.

Wie bei allen Dingen im Leben, so kommt es bei der Ernährung wie auch bei der Bewegung auf das richtige Maß an. Wer sich daran hält, kann mit Genuss und vor allem im wahrsten Sinne des Wortes unbeschwert genießen. Ist jedoch Übergewicht erst einmal gegeben, dann bedarf es zur Gewichtsabnahme komplexer und interdisziplinärer Ansätze. Rigide Diätvorgaben und eine isolierte Betrachtung des Ernährungsverhaltens allein führen sicher nicht zum Erfolg.

Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Bonn

Pressekontakt:
Euro RSCG ABC
Britta Gayk
Rödingsmarkt 9
20459 Hamburg
Tel.: 040 / 431 75 - 172


Copyright © 2003 dpa / news aktuell

Zur Homepage von news aktuell

 



Seitenanfang
Zurück zu "Nachrichten"

[ Home | Anfang | Diabetes | Angebote | Informationen | DDB Hannover | DDB Niedersachsen | Diabetes im WWW ]

© copyright Wolfgang Sander  Webmaster@Diabetiker-Hannover.de   letzte Änderung: 06.12.2003