wdr Westdeutscher Rundfunk online, 21.09.2001 Zuckerkrankheit ist bitter1. Diabetes-Tag für Kinder und Jugendliche: steigende Zahl von Erkrankten
Kindergeburtstag: Mädchen und Jungen toben und spielen ausgelassen, Kuchen, Limo, Bonbons, Schokolade und Pommes satt gehören dazu. Kommt die achtjährige Valerie von einer solchen Feier nach Hause, ist Katzenjammer oft programmiert; eigentlich hätte sie genau darauf achten müssen, was sie isst und trinkt. Denn unkontrolliertes Essen kann ihren Blutzuckerspiegel gefährlich hoch treiben, Unwohlsein oder gar Bewusstlosigkeit in Folge einer Unterzuckerung drohen. "Weißt Du wie schwierig es ist, immer aufzupassen", sagt sie ihrer Mutter dann unter Tränen. "Dann weinen wir beide", sagt Monika S. Natalie gehört zu den rund 20.000 Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die an Diabetes erkrankt ist. An diesem Samstag (22.09.01) will der Deutsche Diabetiker Bund mit dem ersten Deutschen Diabetes-Tag für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern auf deren Schicksal aufmerksam machen. Denn ein Leben mit Diabetes bedeutet ständige Kontrolle. Und obwohl die Zahl gerade der jungen Erkrankten ständig steigt, herrscht in der breiten Öffentlichkeit eher Unwissenheit über diese Krankheit.
Vor gut eineinhalb Jahren stellten die Eltern von Valerie eine Veränderung bei ihrer Tochter fest: die Kleine war apathisch und schlecht gelaunt, hatte keine Lust zu spielen oder ihre Freunde zu treffen. Sie entwickelte einen unheimlichen Durst und nahm gleichzeitig an Gewicht ab. Obwohl dies die typischen Anzeichen für eine Diabetes-Erkrankung sind, hatten sie "zunächst keine Ahnung, was das sein könnte. Wir haben schon mit dem Schlimmsten gerechnet, Leukämie". Als dann die Diagnose Diabetes lautete, wussten die Eltern: "Das bedeutet Spritzen". Valerie war am sogenannten Typ 1 des "Diabetes mellitus" erkrankt, der auch als Zuckerkrankheit bekannt ist. Diese Variante der Krankheit befällt im Gegensatz zum sogenannten "Altersdiabetes", dem Diabetes Typ 2, vor allem Menschen unter 30 Jahren, sogar schon Babys und Kleinkinder. Zur Zeit gibt es rund 300.000 Erkrankte in Deutschland, jedes Jahr kommen etwa 900 Kinder unter 14 Jahren hinzu. Diagnose lebenslänglich"Muss ich jetzt mein ganzes Leben lang spritzen, auch wenn ihr nicht mehr da seid?", fragte Valerie ihre Eltern während der zwei Wochen, die sie im Krankenhaus verbrachte, um sie auf die Insulinbehandlung "einzustellen". Denn Insulin, dass die Patienten spritzen müssen, ist die einzige Behandlung, die es heute bei Diabetes gibt. Der Körper der Patienten ist nicht mehr in der Lage, selbst Insulin zu produzieren. Die dafür zuständigen B-Zellen in der Bauchspeicheldrüse sind bei Diabetes-Kranken des Typs 1 fast vollständig zerstört. Ursache: ein sogenannter Autoimmunprozess. Zellen des Immunsystems greifen infolge einer Fehlprogrammierung die B-Zellen in der Bauchspeicheldrüse an. Dieser Prozess kann oft Jahre dauern und unbemerkt bleiben. Ohne Insulin ist der Stoffwechsel des Organismus gestört. Der Körper kann die mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate nicht mehr verwerten. Nur eine dauernde und gesteuerte Zufuhr von Insulin kann jetzt noch helfen. Die Diagnose Diabetes bedeutet heute noch: lebenslänglich ohne Hoffnung auf Besserung oder Heilung. Leben nach PlanSchon im Krankenhaus begannen Valerie und ihre Eltern, den Umgang mit Spritzen und Nährwerttabellen zu lernen. Bei allem, was das Kind isst oder trinkt, muss die Menge der aufgenommenen Kohlenhydrate berechnet werden. "Da hat Valerie ihre erste Krise bekommen, als bei ihr angekommen ist, was das bedeutet", sagt die Mutter. "Sie hat sich gegen die Spritzen gewehrt". Die Eltern haben in dieser ersten Zeit viel gelesen und an Schulungen teilgenommen. Fazit: mit Disziplin und bewusster Ernährung kann man gut mit Diabetes leben. Inzwischen spritzt sich Valerie das Insulin selber, fünfmal am Tag mit einem sogenannten Pen. "Sie will das selber machen," sagt Monika S., "wer soll das denn machen, wenn ihr nicht da seid, hat sie gesagt". Ständige Angst vor der UnterzuckerungInzwischen ist Valerie gut "eingestellt", ihre Untersuchungswerte sind zufriedenstellend. Dennoch: die ständige Angst vor einer möglichen "Unterzuckerung" (Hypoglykämie) bleibt. Fällt der Blutzuckergehalt stark ab, reagieren die Betroffenen mit Zittern, Schwitzen oder gar mit Bewusstlosigkeit. Also muss die Mutter den Tagesablauf ihrer Tochter akribisch planen: die Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten, die das Kind regelmäßig zu sich nehmen muss; soll es beim Ausflug ein Eis geben, kann das den ganzen Tagesplan über den Haufen werfen. Steht in der Schule Sport auf dem Programm, muss auch das bei der Insulingabe berücksichtigt werden. Ohne Traubenzucker geht Valerie nicht mehr aus dem Haus - für den Fall einer Unterzuckerung. Auch das Glukometer zum Messen des Blutzuckerspiegels und Insulin gehören immer in die Tasche. Die Familie hat gelernt, mit der Krankheit zu leben, einfach ist es aber dennoch nicht. Eltern besonders belastet"Bevor die Krankheit bei Valerie auftrat, war sie ein sehr selbständiges Kind. Jetzt denke ich oft, ich habe wieder ein Baby, um das ich mich rund um die Uhr kümmern muss", sagt Monika S. Eigentlich wollte sie wieder arbeiten gehen, heute ist sie froh, dass sie stundenweise von zuhause aus arbeiten kann. "So kann ich Valerie viel abnehmen. In der Pause vor dem Sport gehe ich oft zur Schule, um noch mal nach ihr zu sehen," erzählt sie. Auch nachts steht sie auf, um den Blutzuckerwert der Tochter zu prüfen. "Wenn Valerie am Tag Inliner gefahren ist, kann sich das nachts auswirken. Habe ich gemessen, kann ich ruhig weiter schlafen." Valerie ist ein sehr aktives Kind, sie ist im Sportverein, hat Unterricht in der Musikschule, nimmt am Schulsport teil. Andere Dinge, die für ihre Altersgenossen selbstverständlich sind, lösen bei der Mutter immer wieder Ängste aus - oft unbegründet. "Eine Übernachtung bei ihrer Freundin hat sie schon hinter sich. Es hat gut geklappt", berichtet die Mutter. Aber das Kind mal eine Woche bei Verwandten abgeben - das ist zur Zeit unmöglich. Wenn demnächst Schwimmen neu auf dem Stundenplan steht, bedeutet das wieder eine Umstellung. "Manchmal denke ich, jetzt kommst Du nie zur Ruhe." Was bringt die Zukunft?Schon heute macht sich Monika S. Gedanken, ob Valerie später im Berufsleben
Nachteile durch ihre Krankheit haben wird. In der Schule oder im Freundeskreis ist das Verständnis und die
Hilfe groß. "Die Lehrerin und die Kinder haben Valerie im Krankenhaus besucht", erzählt Monika
S. Die Lehrerin hat im Unterricht erklärt, was Diabetes ist. Wenn Valerie bei Freunden zu Besuch ist, achten
deren Eltern darauf, dass sie nicht so viel Süßes auftischen. Und die Kinder sind neugierig, wenn das
Glukometer ausgepackt wird und wollen auch mal messen. Allerdings wissen immer noch wenige, was Diabetes oder Zuckerkrankheit
bedeutet, meint die Mutter. Die einen glauben, nur Süßes sei dann verboten, andere meinen, nur durch
falsche Ernährung und zu wenig Bewegung erkranke man an Diabetes. Das trifft aber nur bei dem Diabetes Typ
2 zu. Doch da immer mehr Kinder schon zu dick sind und sich zu wenig bewegen, gibt es in jüngster Zeit auch
zunehmend Kinder, die an dem Diabetes Typ 2 erkranken.
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© copyright Wolfgang Sander Webmaster@Diabetiker-Hannover.de letzte Änderung: 24.09.2001 |